Ist die Christliche Kirche zu politisch, oder die Politik zu wenig christlich? Die neu gewählte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) überraschte die christlichen Kirchen zu Ostern mit folgendem Statement: Wenn sie nicht mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick haben, sondern Ratschläge zu tagesaktuellen Fragen wie eine Nichtregierungsorganisation abgeben, werden sie austauschbar. Dafür möchte sie keine Kirchensteuer bezahlen, klagte sie. Die Kirchen seien ihr zu politisch.
Die daraufhin folgende Diskussion nimmt kein Ende. Stimmt es, dass die Kirchen zu politisch agieren? Sollen die Kirchen schweigen, wenn es um soziale Missstände in einer Gesellschaft geht, wenn das Recht auf Asyl in Frage gestellt wird? Soll sich die Kirche nicht melden, wenn es um den Schutz von Schwachen, Schutz- und Obdachlosen geht? Soll sie nicht anprangern, wenn es im Mittelmeer um einen unchristlichen Umgang mit Flüchtenden oder gar Ertrinkenden geht?
Hat sich Jesus nicht für die Kranken, Armen oder Benachteiligten eingesetzt? Der verstorbene Papst Franziskus prägte den Satz: „Die Globalisierung der Gleichgültigkeit hat uns die Fähigkeit zu weinen genommen.“ Oft habe ich persönlich den Eindruck, dass sich der Grundsatz „Ich zuerst“ in vielen Bereichen immer mehr durchsetzt. In den gerade verklungenen Ostergottesdiensten wurde doch überall für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung gepredigt. Ist dieses in einer in Unordnung geratenen Welt nicht auch ein hochpolitisches Einwirken gegen die Ungerechtigkeiten in dieser Welt. Prangern die christlichen Kirchen nicht zu Recht das Vorgehen Israels im Gazastreifen an? Sind hier nicht mahnende Worte an die Politik erforderlich und angebracht? Haben Kirchen hier nicht, wie von Klöckner gefordert, auch grundsätzliche Fragen von Leben und Tod im Fokus? Kirche muss also auch politisch agieren, um die christlichen Werte nicht zu verleugnen, aber nicht parteipolitisch. Hier muss man genau differenzieren.
Da möchte ich schon fragen, ob die Bundestagspräsidentin das „C“ der CDU deutlich genug vertritt. Armin Laschet, auch aus der CDU, sagte zu Klöckners Kirchenkritik: „Kirche war immer politisch…Wer aus der christlichen Botschaft ableitet, dass man die Welt verändern soll, zum Guten verändern soll, die Welt gestalten soll, dann ist das immer eine politische Botschaft.“
Eintreten für unsere christlichen Werte wird daher auch immer politisch sein. Dieses musste schon Jesus erfahren, als er den Regierenden - auch vor dem Hintergrund seiner Bergpredigt und seines Wirkens - ein Dorn im Auge war und er auch deshalb ans Kreuz genagelt wurde.
Eine Kirche, die sich nach dem Ansinnen von Julia Klöckner nicht mehr klar äußert zu Ungerechtigkeit und Krieg, zu Humanität und Menschlichkeit, zu sozialem Zusammenhalt und Nächstenliebe begeht Verrat an der christlichen Botschaft. Frau Klöckner sollte es als studierte Theologin besser wissen! In der Migrationspolitik geht es jeden Tag um Menschlichkeit, in der Verteidigungspolitik geht es jeden Tag um Krieg und Frieden, in der Sozialpolitik geht es jeden Tag um mehr Gerechtigkeit. Im Umgang und in der Auseinandersetzung mit der AfD geht es jeden Tag um das Eintreten für Freiheit und Demokratie, Bewahrung unserer christlichen Werte. Einer Partei mit dem „C“ im Namen, sollte es, wo immer möglich, auch um die Vertretung dieser Werte gehen.
Natürlich müssen die Kirchen aufpassen, dass sie neben allem öffentlichem Wirken, Strukturreform und politischem Mahnen nicht die von ihr erwartete Spiritualität (die mehr oder minder bewusste Beschäftigung „mit Sinn- und Wertfragen des Daseins, der Welt und der Menschen und besonders der eigenen Existenz und seiner Selbstverwirklichung im Leben) verliert und mit Seelsorge ganz nah bei den Menschen ist. Ich hoffe, diese meine Aussage wird nicht auch als zu politisch bewertet! Aber vielleicht ist gerade die aktuelle Diskussion auch dazu geeignet, den christlichen Kirchen in der Gesellschaft auch in der heutigen Zeit den Stellenwert zu geben, für den wir alle einstehen.
Unabhängig von jeder Diskussion, lassen sie uns in unserer Kirche ein positives „Wir“ erleben unabhängig von Parteimeinung oder Einstellung.
Manfred Hohmeier